Das Wertparadoxon (und seine Lösung)

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Das Engels´sche Wertparadoxon von 1894

„Teilen wir sämtliche Waren der Welt in zwei Hälften, auf der einen Seite in die Gruppe der Nachfrage, auf der anderen in die des gleich großen Angebotes. Nehmen wir an, jede repräsentiere einen Preis von 1.000 Milliarden Mark, Franken, Pfund Sterling oder was auch immer. Das macht zusammen nach Adam Ries einen Preis oder Wert von 2.000 Milliarden. Unsinn sagen die bürgerlichen Ökonomen. Mit dem Wert sei das etwas anderes. Wenn wir Preis meinen sind 1.000 + 1.000 = 2.000, meinen wir aber den Wert, so sind 1.000 + 1.000 = 0, denn hier ist die Ware eines jeden von beiden nur 1.000 Milliarden wert, weil jeder von beiden diese Summe für die Ware des anderen ausgeben will und kann. Vereinigen wir aber die Gesamtheit der Waren beider in einer Hand eines dritten, so hat der erste keinen Wert mehr in der Hand, der andere auch nicht und der dritte erst recht nicht – am Ende hat keiner nix.“ Q: F Engels, zit im Kapital, Bd. 3, S. 902

Lösung des Wertparadoxons

´Nachfrage und Angebot´ setzen mindestens 2 Parteien voraus, die eine Partei, die etwas anbietet, die andere, welche etwas nachfragt. Also müssen wir zuerst sämtliche Personen dieser Welt in zwei Gruppen aufteilen, in eine Gruppe A auf der einen Seite und in eine Gruppe B auf der anderen Seite. Als nächstes teilt Engels sämtliche Waren dieser Welt in zwei Teilmengen auf. Die erste Teilmenge können wir mit Warenmenge W1, die zweite mit Warenmenge W2 bezeichnen. Nun gehen wir davon aus, daß die Personengruppe A Besitzer der Warenmenge W1 sei und die Personengruppe B Besitzer der Warenmenge W2. Aus Sicht der Personengruppe A stellt die Warenmenge W2 das Angebot der Personengruppe B und die von A nachgefragte Menge dar. Aus Sicht der Personengruppe B stellt die Warenmenge W1 das Angebot von A und die von B nachgefragte Warenmenge dar. Wegen der Aussage ´eines gleich großen Angebotes [wie die Nachfrage]´ geht Engels davon aus, daß beide Personengruppen die gesamte Warenmenge W1 gegen die gesamte Warenmenge W2 tauschen wollen (also W1 ⇔ W2).

Im Gegensatz zu Engels, der nun von einer Nachfrage und nur von einem Angebot ausgeht, gibt es in Wirklichkeit aber immer 2 Nachfragen und 2 Angebote. Werden beide Warenmengen gegeneinander getauscht, brauchen wir übrigens keine einzige Mark!

Der zweite Satz von Engels sagt uns, daß sowohl die Warenmenge W1 als auch die Warenmenge W2 gegen eine Menge Geld getauscht werden. Der direkte Warentausch W1 ⇔ W2 zerfällt also in die beiden Vorgänge W1 ⇔ 1.000 Mrd Mark und 1.000 Mrd Mark ⇔ W2. Brauchen wir deshalb wirklich 2.000 Mrd Mark? Schauen wir uns die Vorgänge im Detail an:
Vor dem ersten Tausch W1 ⇔ 1.000 Mrd Mark befinden sich die 1.000 Mrd Mark in der Hand von Person B, nach dem Tausch befinden sie sich in der Hand der Persongruppe A. Als zweites kauft Personengruppe A mit den 1.000 Mrd Mark die Warenmenge W2. Nach dem zweiten Tausch befinden sich die 1.000 Mrd Mark also wieder in der Hand von B. Aus dem direkten Warentausch W1 ⇔ W2 wurden also zwei Tauschvorgänge W1 ⇔ 1.000 Mrd Mark und 1.000 Mrd Mark ⇔ W2 – und das alles mit ein und derselben Menge von 1.000 Mrd Mark. Weil das Geld nach Abschluß der beiden Tauschvorgänge wieder zur Gruppe B zurückgekehrt ist, sprechen wir von einer Zirkulation. Um W1 gegen W2 zu tauschen, brauchen wir also mit nichten die doppelte Menge Geld! Wenn man die beiden Mengen W1 und W2 in Teilmengen zerlegt und diese Teilmengen dann nacheinander zeitlich versetzt tauscht, kann man die benötigte Geldmenge sogar weiter reduzieren. Die Geldmenge hängt damit von der Anzahl der Teilmengen und damit von der Anzahl der Zirkulationen ab. Man könnte also problemlos zwei Warenmengen, bei der jede einzelne Warenmenge in Summe 1.000 Mrd Mark kosten würde, mit 1 Mark tauschen. Man müßte die Warenmenge W1 und die Warenmenge W2 in je 1.000 Mrd Teile zerlegen und diese Teile dann jeweils gegen 1 Mark tauschen. Nach 1.000 Mrd Tauschvorgängen wäre die komplette Warenmenge W1 bei Person B und die komplette Warenmenge W2 bei A. Das ist der Vorteil einer Zirkulation, man braucht gar nicht so viel Geld.

Was sagen die bürgerlichen Ökonomen zum Preis? 1.000 + 1.000 = 2.000. Als erstes bemängeln wir, daß die Einheit fehlt. Zum zweiten haben wir gesehen, daß auch eine Geldmenge von 1.000 Mrd Mark reicht, um beide Warenmengen gegeneinander zu tauschen. Wie wir weiter oben gesehen habe, braucht man überhaupt kein Geld, Wenn man beide Warenmengen direkt gegeneinander tauscht, also 0 Mark.

Im dritten Satz verwechselt Engels die beiden Kategorien Preis und Wert. Der Preis ist eine reale Menge (die 1.000 Mrd Mark), der Wert ist eine Größe. Wenn die Warenmenge W1 gegen 1.000 Mrd Mark getauscht wird, dann sind die 1.000 Mrd Mark der Preis für die Warenmenge W1. Der Wert der Warenmenge W1 ist aber eine Größe und kann daher nicht das Gleiche wie die Geldmenge sein. Was ist dann der Wert der Waren? Wir antworten: der Produktwert. Angenommen, zur Herstellung der Warenmenge W1 wurden 1.000 Mrd h gearbeitet, dann hat Warenmenge W1 einen Produktwert von 1.000 Mrd Arbeitsstunden. Zur Vereinfachung nehmen wir weiterhin an, daß zur Herstellung der Warenmenge W2 ebenfalls 1.000 Mrd h gearbeitet wurde, dann hat auch diese Warenmenge einen Produktwert von 1.000 Mrd Stunden. Der Produktwert beider Warenmengen beträgt also zusammen 2.000 Mrd Stunden. (Zur Erinnerung: 1 Mark ist die Bezeichnung für eine Menge, ursprünglich entsprach 1 Mark 233 g Silber, 1 Mark ist also eine Mengeneinheit. 1 Stunde ist dagegen eine Größeneinheit. Mengen und Größen gehören zu völlig verschiedenen, inkomparablen Kategorien!)

Was sagen die bürgerlichen Ökonomen zum Wert? 1.000 + 1.000 = 0. Auch hier bemängeln wir wieder, daß die Einheit fehlt – und kommen außerdem zu einem anderen Ergebnis. Das p1 + p2 nicht 0 werden kann, wenn p1 und p2 größer als 0 h ist, wurde mit Hilfe der Mathematik längst bewiesen. Da erhebt sich die Frage, wessen Theorie wohl falsch sein mag?

Im letzten Satz des Paradoxons verläßt Engels ohne weitere Einführung seine selbst gesetzten Ausgangsbedingungen und führt eine dritte Person ein. Damit bricht übrigens automatisch die selbst gesetzte Annahme des ´gleich großen Angebotes wie die Nachfrage´ zusammen, weil diese Annahme eben nur für die beiden Gruppen A und B galt. Werden nun beide Warenmengen in der Hand eines Dritten vereint, so befindet sich weder bei Personengruppe A noch bei Personengruppe B irgendeine Ware. Hat der Dritte beide Warenmengen gekauft, also 1.000 Mrd Mark ⇔ W1 und 1.000 Mrd Mark ⇔ W2, dann hat er insgesamt 2.000 Mrd Mark gebraucht, um beide Warenmengen kaufen zu können. Die Preis-Logik der bürgerlichen Ökonomen (1.000 + 1.000 = 2.000) stimmt also nur aus der Perspektive eines sogenannten Dritten. Wer hat aber nun was? Der Dritte besitzt auf einmal die gesamte Warenmenge, seine 2.000 Mrd Mark verteilen sich nach den beiden Kaufvorgängen zu je 1.000 Mrd Mark auf Personengruppe A und auf Personengruppe B. „Der Dritte hat erst recht nichts“ stimmt also nur hinsichtlich der Geldmenge – aber nicht hinsichtlich der Warenmenge. Die Gruppen A und B hingegen haben dagegen auf einmal keinerlei Waren mehr, dafür aber je 1.000 Mrd Mark. Wenn man bedenkt, daß die Warenmenge W1 eigentlich zur Befriedigung der Bedürfnisse von Personengruppe B und die Warenmenge W2 zur Befriedigung der Bedürfnisse von Gruppe A dienen sollten, dann haben sie jetzt statt Bier, Brot und Wurst je 1.000 Mrd Mark zum satt werden. Beide Warenmengen befriedigen jetzt die Bedürfnisse jener ominösen dritten Person. Ein Schelm, wer in dieser Personengruppe die Bänker, Politiker und ihre Klaquere wiedererkennt, die ohne großen Aufwand Euros in Hülle und Fülle produzieren, um damit alle Waren dieser Welt zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse kaufen zu können, während Klasse A und Klasse B nichts mehr zum beißen hat. Im Gegensatz zur oben gezeigten Zirkulation der Waren innerhalb der arbeitenden Bevölkerung nennt man diese Art und Weise der Warenströme den Transfer von der produktiven Basis an den parasitären Überbau.

Fazit
Das Paradoxon beruht auf Trugschlüssen und verschwindet bei der richtigen Anwendung korrekter Größen und Einheiten.