Wert

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Das Wert-Problem

Das Wort ‚Wert‘ ist wie das Wort ‚Ding‘ ein Platzhalter (Wildcard) für Begriffe geworden, deren korrekte Bezeichnung man nicht genau weiß. Während ‚Ding‘ als Stellvertreter für Objekte verwendet wird („Gib mir mal das Ding da!“ oder „Was ist das für ein Ding?“) wird ‚Wert‘ als Joker für Eigenschaften und Verhaltensweisen genutzt. Nun kommt in der Kommunikation selten etwas richtig heraus, wenn sich Sender und Empfänger nicht über die Bedeutung der verwendeten Begriffe einig sind.
„Der Wert von Geld, Waren und Dienstleistungen beschäftigt seit Jahrtausenden ganze Heerscharen von Politikern, Juristen, Geschichtsschreibern und Ökonomen. Bereits Aristoteles hat sich Gedanken darüber gemacht. Harrington hat ihn 1656 proklamiert und Marx hat ihm 1865 ganze 3 Bände gewidmet.“ FE in KM3, S. 902, Fn 1

In der alten Ökonomie geistert eine Fülle von Wertbegriffen herum: Arbeitswert, Buchwert, Finanzwert, Gebrauchswert, Geldwert, Kapitalwert, Marktwert, Materialwert, Mehrwert, Nominalwert, Nutzwert, Produktionswert, Reproduktionswert, Stoffwert, Stückwert, Tageswert, Tauschwert, Vermögenswert, Verteilungswert, Warenwert, Wertausdruck, Wertäquivalenz, Wertbildung, Wertform, Wertgröße, Wertmaß, Wertpapier, Wertschätzung, Wertschöpfung, Wertsubstanz, Wertverhältnis, Zahlenwert, Zeitwert und viele andere mehr.
Marx sprach vom „Doppelcharakter“ einer Ware, nämlich von ihrem Gebrauchswert und ihrem Tauschwert. Leider hat er die Bedeutungen dieser Größen nirgendwo sauber definiert. Er hat dann noch den Mehrwert eingeführt, von dem bis heute keiner so recht weiß, was er ausdrücken soll.
Engels konstatiert: „Und nun möge sich der Leser von den fünf Sorten Wert, mit denen die bürgerliche Ökonomie aufwartet, selber diejenige aussuchen, die ihm am besten gefällt: den Produktionswert, der von Natur kommt, oder den Verteilungswert, den die Schlechtigkeit der Menschen geschaffen hat und der sich dadurch auszeichnet, daß er nach dem Kraftaufwand gemessen wird, der nicht in ihm steckt; oder drittens den Wert, der durch die Arbeitszeit gemessen wird, oder viertens den, der durch die Reproduktionskosten, oder endlich den, der durch den Arbeitslohn gemessen wird. Die Auswahl ist reichlich, die Konfusion vollkommen, und es bleibt uns nur noch übrig: Die Lehre vom Wert ist der Probierstein für die Gediegenheit ökonomischer Systeme.“ F Engels: Anti-Dühring, S. 182
Neben den Wertgrößen (Wörter, bei denen das Wort ´Wert´ als Bezeichnung für eine Größe verwendet wird, wie z.B. beim Heizwert, aber auch beim Gebrauchswert und Tauschwert) gibt es auch noch Größenwerte. Ein Größenwert ist der spezielle Wert einer Größe, wie z.B. 8.000 Megajoule Heizwert der Braunkohle oder die 150 kcal Brennwert von 100 g Joghurt.
Aber gehen wir der Reihe nach.

350 vuz Arisoteles

„5 Polster = 1 Haus unterscheidet sich nicht von 5 Polster = soundso viel Geld. Der Austausch kann nicht sein ohne die Gleichheit, die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilität. Es ist aber in Wahrheit unmöglich, daß so verschiedenartige Dinge kommensurabel. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren Natur der Dinge Fremdes sein, also nur Notbehelf für das praktische Bedürfnis.“ Aristoteles: Ethica Nicomachea, zitiert in KM1, S. 73

Kommentar: Die Gleichsetzung unterschiedlicher Mengen ist der Anfang aller ökonomischen Irrtümer. Insofern ist Aristoteles der Urvater des ökonomischen Unsinns. Der Austausch „5 Polster ⇔ 1 Haus“ oder „5 Polster ⇔ soundso viel Geld“ hat nichts mit Gleichheit zu tun! Die beiden Begriffe Gleichheit und unterschiedliche Mengen widersprechen sich gegenseitig.

1739 Unbekannt

„Der Wert von Gebrauchsgegenständen, sobald sie gegeneinander ausgetauscht werden, ist bestimmt durch das Quantum der zu ihrer Produktion notwendig erheischten und gewöhnlich angewandten Arbeit.“ Autor unbekannt, 1739, zit in KM1, S.54, Fn 9

Kommentar: Wert wird als Größe verwendet, da es sich bei Gebrauchsgegenständen um eine reale Menge handelt. Ob hier unter Arbeit eine physikalische Größe oder eine menschliche Tätigkeit gemeint wird, ist nicht interpretierbar – ich nehme aber mal an als physikalische Größe, weil ich dem Autor unterstelle, daß er weiß, das nur Größen einander zuordenbar sind. Hätte der Autor Arbeitszeit (statt Arbeit) geschrieben, dann würde diese Aussage unseren Definitionen vom Produktwert entsprechen. Falls er mit Wert den Tauschwert meint, was durch den Nebensatz ´sobald sie gegeneinander ausgetauscht werden´ möglich ist, würde seine Aussage unserer Tauschwertdefinition entsprechen: τ1 = p2 und τ2 = p1 entsprechen.

1817 David Ricardo

siehe die Kommentierungen auf der Seite Über den Wert in der Werkstatt

1846 Le Trosne

„Der Wert besteht in dem Tauschverhältnis, das zwischen einem Ding und einem anderen, zwischen der Menge eines Erzeugnisses und der eines anderen besteht.“ Le Trosne: De l’Intérêt Social, in Physiocrates, éd. Daire, Paris 1846, p. 889. Zitiert in KM, Bd1, S. 50, Fn 6

Kommentar: Tauschverhältnis heißt für mich Austausch. Le Trosne scheint mit Verhältnis eine Beziehung zwischen den beiden Warenmengen W1 und W2 zu meinen. Welcher Art diese Beziehung ist, geht aus seiner Aussage aber nicht hervor. Falls er den mathematischen Quotienten zweier Mengen meint, bleibt das Einheitenproblem. Beispiel: Eine Mutter kocht 12 Kartoffeln für ihre 4 köpfige Familie, dann ergibt die Division von 12 Kartoffeln durch 4 Köpfe gleich 3 Kartoffeln pro Kopf. Was aber soll die Mengendivision beim Austausch? Angenommen ein Bauer tauscht 12 Eier gegen 4 Brötchen vom Bäcker, dann kann er nur sagen, er hat 3 Eier pro Brötchen getauscht. Menge durch Menge bleibt eine spezifische Mengenangabe und wird keine Größe!

1851 Karl Marx in Bullion

On value – Über den Wert

„´value in use´ übersetzt Marx mit ´Nützlichkeit eines Gegenstandes´. ´value in Exchange´ übersetzt Marx mit ´Macht, andere Waren zu kaufen´.“

Kommentar: ´Value in use´ ist der Gebrauchswert. Die ´Nützlichkeit´ ist eine Eigenschaft eines Gegenstandes; der Gebrauchswert ist die Größe, mit deren Hilfe die Nützlichkeit ausgedrückt wird (siehe Definition). (Physikalische Analogie: die Bewegung ist eine Eigenschaft, die Geschwindigkeit ist die korrespondierende Größe.) ´Value in Exchange´ kann am besten mit Tauschwert übersetzt werden. Kaufen setzt den Tausch voraus, der Tausch wiederum setzt eine zweite Ware voraus, also W1 ⇔ W2. Aber weder W1 noch W2 haben die ´Macht´, die jeweils andere Ware zu kaufen, der Tausch kommt durch eine übereinstimmende Willenserklärung der beiden beteiligte Personen A und B zustande. Zwei Waren W1 und W2 liegen tausende von Jahren friedlich nebeneinander, wenn sie nicht von 2 Menschen getauscht werden. Die Macht etwas zu tauschen (im ökonomischen Sinne), besitzen nur die Menschen! Niemand und nichts anderes!

„Nützlichkeit ist nicht das Maß des Tauschwertes, obgleich ihm nötig.“ (p.2)

Kommentar zum 1. Halbsatz: Richtig, zum einen ist die Nützlichkeit eine Eigenschaft und keine Maßeinheit, zum anderen wird die Nützlichkeit durch den Gebrauchswert ausgedrückt und nicht durch den Tauschwert.
Kommentar zum 2. HS: Falsch. Ricardo meint die Gebrauchswertbedingungen des Austausches. Die Gebrauchswerte von W1 und W2 haben aber nichts mit den Tauschwerten von W1 und W2 zu tun. Gebrauchswert und Tauschwert sind inkomparable Größen.

„Die Waren erhalten ihren Tauchwert aus 2 Quellen: 1.) die Seltenheit und 2.) die Quantität von Arbeit, nötig sie herzustellen.“ (p.3)

Kommentar: 1.) falsch! Seltenheit ist eine Eigenschaft, die nichts mit der ´Quantität von Arbeit´ zu tun hat. Seltenheit und Arbeitsquantität sind inkomparabel und können nicht als ein und dieselbe Größe dargestellt werden. 2.) falsch! Arbeiten ist eine Tätigkeit, ´Quantität´ ein Vielfaches, also eine Zahl. Was ist das Ergebnis von ´3 x Holz hacken´?

„Der relative Wert der Waren also bestimmt durch verschiedene Quantität derselben, die in derselben Arbeitszeit produziert werden kann oder durch die verhältnismäßig in den Waren realisierte Quantität von Arbeit.“ (p.4)

Kommentar: Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Ich übersetze diesen Satz mal mit meinen Worten: Der Produktwert einer Ware, wird durch die zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeitszeit bestimmt.

„Jede Vermehrung der Arbeitsquantität vermehrt also den Wert der Ware, jede Verminderung vermindert ihn.“ (p.4)

Kommentar: Entweder kann Ricardo oder Marx nicht zwischen Arbeit und Arbeitszeit unterscheiden. Arbeiten ist eine Tätigkeit und Arbeitszeit eine Größe, beides sind verschiedene Kategorien und per se nicht miteinander vergleichbar! Nicht die ´Vermehrung der Arbeitsquantität´ vermehrt den Wert einer Ware, sondern je länger man braucht, um eine Ware herzustellen, um so größer ist ihr Produktwert. Natürlich gilt auch der umgekehrte Fall: je weniger Arbeitszeit zur Herstellung einer Ware erforderlich ist, um so geringer ist ihr Produktwert.

„Der Wert der Arbeit und die Quantität Waren, die eine bestimmte Quantität Arbeit kaufen kann, sind nicht identisch. Denn das Produkt des Arbeiters oder ein Äquivalent des Produktes ist nicht gleich der Belohnung des Arbeiters. Also ist der Wert der Arbeit nicht das Maß der Werte, wie die auf die Quantität der Waren verwandte Arbeit.“ (p.5)

Kommentar 1. Satz: Was bitte schön ist auf einmal der ´Wert der Arbeit´? Arbeiten ist eine Tätigkeit, der Wert eine Größe? ´Wert der Arbeit´ ist in etwa wie ´Geschwindigkeit des Autos´. Welche Eigenschaft der Arbeit Ricardo mit ´Wert der Arbeit´ ausdrücken will, bleibt mir verborgen. ´Quantität Waren´ ist eine Warenmenge, also 10 kg Kartoffeln oder 5 Liter Bier. ´Quantität Arbeit´ ist eine Menge Arbeit; es erschließt sich nicht, ob Ricardo damit ´5 x Holz hacken´ meint oder die Arbeitszeit von 5 h Holz hacken. 5 Stunden Holz hacken ergibt zwar eine bestimmte Menge gehacktes Holz ist, was aber nicht das Gleiche wie die Arbeitszeit ist. (Die Geschwindigkeit ist nicht das Gleiche wie ein Auto.) Trotz dieser ganzen Unklarheiten ist der erste Satz richtig: eine Eigenschaft einer Tätigkeit ist nicht das Gleiche wie eine Warenmenge und eine Warenmenge nicht das Gleiche wie die Tätigkeit oder die Arbeitszeit.
Kommentar 2. Satz:

1865 Karl Marx im Kapital

„Hier aber stutzt Aristoteles und gibt die weitere Analyse der Wertform auf.“ KM1, S. 74

Kommentar: Den falschen Ansatz von Aristoteles (die Gleichsetzung unterschiedlicher Mengen) führt Marx dann mit seinen Wertformen weiter fort.

„1 Quarter Weizen = a Ztr. Eisen. Was besagt diese Gleichung? daß ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschiedenen Dingen existiert, in 1 Quarter Weizen und ebenfalls in a Ztr. Eisen. Beide sind also gleich einem Dritten, das an und für sich weder das eine noch das andere ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwert, muß also auf dies Dritte reduzierbar sein.“ KM, Bd1, S. 51

Kommentar: Marx setzt zwei verschiedene reale Mengen einander Gleich, was ein Widerspruch in sich ist. Diese Gleichsetzung verstößt gegen naturwissenschaftlich anerkannte Prinzipien, ist falsch und besagt gar nichts! Bei ein Gemeinsames kann es sich nur um eine Größe handeln, bei von derselben Größe um den Wert einer Größe.

„Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemische oder sonstige natürliche Eigenschaft der Waren sein. KM1, S.51

Kommentar: Meiner Meinung nach liegt Marx hier völlig falsch. Größen spiegeln Eigenschaften realer Mengen wieder und das Gemeinsame zwischen zwei verschiedenen Mengen kann nur eine gemeinsame Eigenschaft sein, welche durch eine Größe ausgedrückt wird.

„Der Gebrauchswert einer Ware ist die Voraussetzung ihres Tauschwerts und damit ihres Werts.“ KM: Das Kapital, Bd 3, S. 649

Kommentar: Ist der Wert nun der Gebrauchswert oder der Tauschwert? Wie wir weiter unten noch sehen werden, sind Gebrauchswertdifferenz und –inversion die Bedingungen für den Austausch zweier Warenmengen. Nur wenn ein Produkt gegen ein anderes getauscht wird, tritt der Tauschwert in Erscheinung. Gebrauchswert und Tauschwert sind zwar Wertgrößen, aber verschiedener, inkomparabler Art.

1886 Achille Loria

„… der Wert ist nichts andres als das Verhältnis, worin eine Ware mit einer anderen sich austauscht …“ Loria, zit in KM: Das Kapital, Bd 3, S. 898

Kommentar: Loria kaut Le Trosne von 1846 wieder (siehe dortiger Kommentar).